Hörspiel: Bruce Lee, der Kleine Drache

Seit langer Zeit hat der WDR endlich mal wieder Jörg Buttgereits Hörspiel Bruce Lee, der kleine Drache online gestellt. Das 2003 entstandene Hörspiel ist eine Art Biopic in Audioform über den einflussreichsten Kampfkünstler und Martial-Arts-Filmstar. Sehr schönes Ding. Auch wenn man kein Fan ist sicherlich interessant.

Buttgereits Hörspiel über die Filmemacherin Doris Wishman ist übrigens auch noch online. Das sei ebenfalls empfohlen: Satan was a Lady.

Martine Beswick in der Werbung von West

Die englische Schauspielerin Martine Beswick wurde durch ihre Auftritte in den James-Bond-Filmen Liebesgrüße aus Moskau und Feuerball einem größeren Publikum bekannt. Fans von Fellbikini-Filmen erfreuten sich an ihren Werken Eine Millionen Jahre vor unserer Zeit (an der Seite von Racquel Welch) und Prehistoric Women. In den 70ern und 80ern sah man Beswick in einer ganzen Reihe von Horror- und Science-Fiction-Streifen, darunter die sehr schön gefilmte Gender-Swap-Variation der klassischen Stevenson-Horrorgeschichte: Dr. Jekyll & Sister Hyde aus den Hammer Film-Studios. Ja, in den meisten Filmen war sie diejenige mit der wenigsten Kleidung.

Anfag der 90er Jahre wurde Martine Beswick für eine Werbekampagne der Zigarettenmarke West (Reemtsma) engagiert. Dies sind zwei der Werbeanzeigen. In der Dokumentation Invasion of the Scream Queens (1992) gibt es einen Kommentar von ihr dazu:

I just did a West cigarette commercial for Germany. And this is the second time- no, the third time I worked with them. There is a character that they came up with a year and a half ago which is the Dominatrix. And I’m all over Germany in this amazing dominatrix outfit. I’m on billboards, I’m on televísion, I’m on the big screen. In this commercial!

And they came back again to do it in L.A. And I just shot it a couple weeks ago. It was hilarious. I mean just hilarious! So that was kind of fun to do. I mean the kind of commercials I do they are always over the top. Way out there, you know.

Leider sind das die einzigen Bilder, die ich habe. Von der erwähnten Fernseh- und Kinowerbung habe ich noch nichts gesehen. Im Internet findet man zwar einige West-Clips aus der Zeit, aber keine dieser speziellen Kampagne. Was man allerdings findet, sind interessante Hintergrundinfos. Mit der Werbung, speziell dem zweiten Bild, sollten Schwule angesprochen werden. 1990/1991 gab es einen Marlboro-Boykott wegen der Unterstützung eines schwulenfeindlichen US-Senators durch den Zigarettenhersteller Philip Morris. Der Boykott war erfolgreich, woraufhin nicht nur Philip Morris Besserung gelobte, sondern auch alle anderen Zigarettenhersteller plötzlich die LGBTQ-Community als lohnende Zielgruppe entdeckte. Einen Artikel dazu findet man hier und bei der taz.n

The more things change…

…the more they stay the same heißt ein englisches Sprichwort, das soviel bedeutet wie, dass augenscheinlich große Veränderungen nicht immer auch große Bedeutung haben und letzlich nur den Status Quo verfestigen. Oder anders gesagt: Vieles bleibt gleich, egal wie viel sich auch ändert.

Vor 40 Jahren, im Herbst 1982, hat Roy Scheider dem Playboy Guide: Electronic Entertainment ein Interview gegeben. Dort ging es neben Scheiders früheren und aktuellen Projekten – das Interview wurde nach seiner Oscar-Nominierung für All that Jazz und kurz vor der Veröffentlichung von Still of the Night und Blue Thunder geführt – auch um den Zustand des Kinos in Anbetracht der Konkurrenz zu Hause bei den Zuschauern. Und zwar nicht so sehr die Konkurrenz durch die Videokassette, sondern durch das boomende Fernsehen. Das war die Zeit, in der Satelliten- und Kabel-Programme richtig durchstarteten und zunehmend hochwertigere Produktionen in Auftrag gaben, und Kinostudios anfingen, ihre Filme auch auf Fernsehtauglichkeit zu trimmen, um sie nach der Kinoauswertung an die Fernsehsender verkaufen zu können.

In dem Interview finden sich ein paar interessante Punkte, die den Wandel der Filmbranche dokumentieren, die aber auch heute noch oder wieder aktuell sind. Scheider beschreibt das Rennen um immer größere Filmprojekte und üppigere Spezialeffekte als einen Trend, dem das Publikum irgendwann überdrüssig sein würde, um sich dann wieder auf Filme, in denen es um Menschen und nicht um Effekte geht, zu besinnen: „They’ll want to see people. It’ll come back. Always does. You always have to come back to people“.

Der nächste Absatz ist ein Evergreen, der auch immer noch gern gesungen wird: „I think we’re now in a political situation rife with wars, all over the world, and people are upset and anxious; they seem to want science fiction, fantasy, escape or comedies. It all goes in cycles. So after a while, you’ll see the comeback of smaller pictures…“

In schlechten Zeiten will das Publikum Ablenkung und leichte Kost. Dass großbudgetierte Effektfilme damals nur ein Trend gewesen wären, der mal kommt, mal geht, kann man aus heutiger Sicht allerdings herzlich verneinen. Heute regieren immer noch und mehr denn je die Blockbusterfilme das Kino. Es mag natürlich gewisse Trends von Filmen und Genres geben. Aber, und das ist die gute Nachricht, der „kleine Film“ war nie davon bedroht, vom Big-Budget-Blockbuster abgelöst oder verdrängt zu werden. Es hat sich herausgestellt, dass das große Effektkino wunderbar mit kleineren Filmen und Indie-Produktionen koexistieren kann. Mehr noch. Unter Umständen sind die kleinen Filme nur möglich, wenn sie durch die Einnahmen der Blockbuster querfinanziert werden.

Scheider sagt in dem Interview voraus, dass es zukünftig – er spricht konkret von den nächsten drei Jahren – vermehrt Filme geben wird, die speziell und exklusiv fürs Fernsehen gedreht werden und er damit kein Problem hat, weil er sich in erster Linie als Schauspieler sieht und das Medium dabei egal ist: „People will pay two or three bucks to see Roy Scheider in a first-run film that blankets the country on cable. And if you want to see it again, you’ll have to pay for a tape. See, if an actor is an actor, what does it matter what medium you use? What do I care if people pay two dollars to see it one time in their home or five dollars in a movie house, where only one third of the people see it. More people will see my work at home. I’m just not interested in the medium.“

Zu diesem Zeitpunkt war diese Voraussage natürlich keine Hexerei. Es war abzusehen. Ein Jahr später drehte Scheider tatsächlich zwei Fernsehfilme für Disney und NBC. Dass Schauspieler zwischen Kino und Fernsehen hin und her wechselten, war damals nicht unbedingt die Norm. Heute sieht das anders aus.

Überhaupt steht die Filmindustrie heute wieder vor einem ähnlichen Umbruch. Was damals das Fernsehen war, ist heute das Streaming. Erneut scheint eine Verschiebung vom Kino nach Hause stattzufinden. Mit wesentlichen Unterschieden. Die technischen Voraussetzungen, die Scheider beschreibt, dass das Filmformat auf 4:3 angepasst werden musste, und die gesetzlichen Restriktionen, was im Fernsehen gezeigt und gesagt werden darf oder eben nicht, spielen heute bei den Streaminganbietern keine (große) Rolle mehr. Fast alles ist möglich. Und alles kann viel leichter umgesetzt werden.

Den Trend oder den Kreislauf, wie es Scheider nennt, dass sich Effektfilme – oder, was ja eigentlich damit gemeint ist: oberflächliche Big-Budget-Filme – mit tiefgründigen kleinen Filmen abwechseln, hat es so nicht gegeben. Aber die damaligen Einschätzungen von Scheider spiegeln die heutige Situation doch, wenn auch auf verzerrte Weise, eindeutig wider. „It all goes in cycles“ trifft zu.

Telekom hat die Ehre, eine Anomalie zu beseitigen (Spam)

Nach 25 Jahren schaffen es die Spammer endlich (fast) grammatikalisch korrekte E-Mails zu schreiben. Das dürfte vor allem den immer besser werdenden Übersetzungstools geschuldet sein. Allerdings ist eine grammatikalisch korrekte E-Mail noch keine überzeugende Phishing-Mail. Das hier liest sich jedenfalls, als wenn die Nachricht aus zwei verschiedenen Zeitepochen heraus gesendet wurde. „Die Telekom hat die Ehre“ klingt wie anno dunnemals und „Anomalie“ hört sich wie Science Fiction an. Diese Spam-Mail ist auch nur durch eine Anomalie meines Spamfilters überhaupt im Posteingang gelandet.

Mal wieder Weihnachten mit Baum

Das erste mal seit langem hatte ich das Bedürfnis, mal wieder etwas weihnachtlichen Kitsch in die Bude zu bringen. Meine Wahl ist auf einen recht günstigen Plastikbaum gefallen. Beleuchtet sieht der sogar richtig gut aus, wenn man nicht zu nah dran geht.

Neben klassischen Kugeln, Tannenzapfen, Sternen und niedlichen Nikoläusen, Lebkuchenmännern und -Frauen und Wichtelmützen, konnte ich nicht widerstehen, und habe standesgemäß zwei schmucke Schädel an die künstliche Nadelpracht gehängt. Die zwei Anhänger waren zwar teurer als der Baum selbst. Aber man muss Prioriäten setzen.

Ein Interview mit dem argentinischen Filmemacher Armando Bó

In der Ausgabe des argentinischen Boulevard-Magazins Gente y la actualidad vom Januar 1973, habe ich ein Interview mit dem Regisseur und Schauspieler Armando Bó (1914 – 1981) gefunden. Da es nur wenige Interviews mit dem Mann gibt – und keines in Deutsch – habe ich das Interview mal übersetzt. Es vermittelt einen guten Eindruck, welche Leidenschaft Bó fürs Filmemachen hatte und welche Herausforderung es war, in dem politisch instabilen Argentinien der 50er, 60er und 70er Jahre Filme zu drehen. Filme zumal, wie die von Armando Bó. Übersexualisierte tropische Fieberträume im Gewand einer südamerikanischen Seifenoper, in deren Zentrum stets die kultisch verehrte Isabel Sarli steht.

Isabel Sarli und Armando Bó im Film La tentación desnuda (1966)

In der Tat kann man nicht über Armando Bó sprechen, ohne nicht auch Isabel Sarli zu nennen. Kein Bó ohne Sarli und keine Sarli ohne Bó. Der Schicksalsfilm El trueno entre las hojas (1957), international als Thunder in the Leaves bekannt, war ihre erste Zusammenarbeit. Es war der erste Film aus Lateinamerika, der eine Nacktszene enthielt, was für einen großen Skandal sorgte, Armando Bó in den Blick der Filmzensoren rückte und Isabel Sarli in die Artikel der Klatschmagazine katapultierte. Es ist einer der wenigen Filme von Bó, die auch in Deutschland veröffentlicht wurden. Unter dem Titel Die grüne Peitsche kam der Film 1964 ins deutsche Kino. Weitere deutsche Veröffentlichungen waren Lujuria tropical (1963, als Tropische Sinnlichkeit 1965 im deutschen Kino) und La tentación desnuda (1966, unter dem internationalen Titel Naked 1968 auch im deutschen Kino zu sehen).

Armando Bó und Isabel Sarli wurden ein Paar und drehten zusammen 30 Filme. Die Filme brachten Bó immer wieder Probleme mit der Filmzensur ein und er haderte häufig mit den strengen Restriktionen. Filme mussten gekürzt werden, erhielten nicht das für hohe Einspielergebnisse essentielle A-Rating oder wurden gleich ganz verboten. Im Interview macht Bó deutlich, dass er doch eigentlich nur frei und unbekümmert mit seinem eigenen Geld Filme drehen will, während die strengen Gesetze ihm Steine in den Weg legen und sich andere ungeniert an der staatlichen Filmförderung bereichern.

ARMANDO BO SPRICHT UND KLAGT AN

Armando Bo spricht, diskutiert, klagt an. Er ist einer der umstrittensten Männer des argentinischen Kinos. Er taucht selten in Artikeln auf, aber sein Name wird immer mit wütenden Stürmen in Verbindung gebracht. Entweder wegen Zensurproblemen oder wegen der Filmfreigaben. Wenn er spricht, ist er meist hart, schneidend. Vor ihm stehend, haben andere in der Regel keinen Mittelweg. Sie greifen ihn heftig an oder verteidigen ihn mit aller Schärfe. Hier ist er. Mit all seinen Gedanken.

Man sagt, dass niemandem ein Glas Wasser verwehrt wird (Anm.: spanisches Sprichwort; „Un vaso de agua no se le niega a nadie“), und wir denken, dass auch niemandem das Wort verwehrt werden sollte. Armando Bo möchte schon seit langem reden und kann es nicht. Also gingen wir in sein Büro, setzten uns hin und sagten einfach zu ihm: „Sie haben das Wort“. Und er begann zu reden und Dinge mit seiner heiseren Stimme zu sagen, die eher für die freie Natur als für geschlossene Räume geeignet waren.

Ich muss unbedingt mit Ihnen reden. Über alles, was ich zu sagen habe, könnte ich ein Buch schreiben! Sie sind schon seit vielen Jahren hinter mir her. Hinter mir, meinen Filmen und Isabel. Und das Traurigste ist, dass mir das hier in meinem eigenen Land passiert. In Paraguay wurde „Fiebre“ innerhalb eines Tages genehmigt. Bei uns dauerte es sechs Monate, bis sie sich entschieden. Was sie mit meinen Filmen machen kann ich nicht verstehen. Es ist zum Verrücktwerden. Sie verfolgen mich ohne Gnade. Und was noch schlimmer ist, ohne Grund. Ich will von niemandem Mitleid, sondern einfach nur Gerechtigkeit.

Aus Armando Bo ergießen sich die Worte. Er hält inne, um Luft in seine Lungen zu bekommen, berührt den Knoten seiner Krawatte und fährt fort:

Sie hielten mich acht Stunden lang gefangen. Ich hatte vier Strafverfahren wegen Übertretung des Gesetzes 128 am Hals. Und ich frage mich, was passiert wäre, wenn der Richter, der mich schließlich für unschuldig erklärte, dieser Barbarei nicht standgehalten hätte. Dann hätte ich als schlimmster Verbrecher im Gefängnis bleiben müssen. Dass ich für meinen Film „India“ acht Stunden im Gefängnis war, ist ein Skandal, denn ich möchte nicht acht Stunden im Gefängnis sitzen, nicht einmal eine halbe Minute. Außerdem hat man mir heute eine Strafe von zwanzig Millionen Pesos aufgebrummt, weil ich ein paar Sekunden von Isabel ohne Kleidung übersehen habe. Was habe ich nur falsch gemacht? Und nach alldem wurde „India“ doch noch genehmigt. Sagen Sie mir nicht, dass Sie das schon alles für den Artikel aufschreiben!

Doch. Haben Sie das gesagt, damit es veröffentlicht wird oder nur zwischen uns?

Nein! Ich nehme nie etwas zurück. Was immer ich sage, ich sage es, damit es bekannt wird. Und ich stehe zu jedem Wort, ich habe keine Angst… Was wollen Sie mich fragen?

Sprechen Sie einfach für sich selbst.

Um noch einmal auf die Probleme zurückzukommen, die ich wegen meiner Art Filme zu drehen, habe: Es hat sich herausgestellt, dass die meisten argentinischen Regisseure die Angewohnheit haben, Schauspielerinnen ohne ihre Kleidung zu filmen. Und es sind dieselben, die mich vor acht oder zehn Jahren allein gelassen haben, die mich kritisierten, verfolgten und mir Millionen und Abermillionen von Pesos abnahmen. Fragen Sie mich, warum sie mich allein gelassen haben?

Warum wurden Sie allein gelassen?

Weil sie alle dem Instituto del Cine unterstellt waren. Wenn das Institut ihnen kein Geld für die Filme gibt, woher sollen sie es dann nehmen? Unsere Filmproduzenten sind keine Produzenten: Sie leben auf Kosten des Instituts. Sie verlangen Geld, drehen den Film, und wenn sie einen Gewinn machen, behalten sie ihn. Ich nicht. Ich habe nie einen Gewinn gemacht. Niemand hat mich unterstützt. Ich habe meine Filme mit meinem eigenen Geld gedreht und mein Geld riskiert. Ich bin auf meinem Weg geblieben und habe weitergespurt. Aber ich habe mir nichts geliehen. Und als meine Filme mir Millionen eingebracht haben, habe ich weitere Filme gemacht.

Er drückt eine Zigarette im Aschenbecher aus und zündet sich die nächste an. Ich brauche ihm keine Fragen zu stellen, er redet einfach weiter.

Was das Institut anbelangt, so ist es derzeit in den Händen von Oberst Ridruejo. Ich weiß, dass dieser Mann ein ausgezeichneter Mensch ist, aber es ist absurd, dass er das Institut mit der totalen Macht leitet, die ihm ein verrücktes Gesetz verleiht. Ich habe zwanzig Aufzeichnungen von Filmen, die eine „B“-Freigabe haben und dann auf eine „A“-Freigabe hochgestuft wurden. Bei meinem letzten Fall war das der letzte Strohhalm. Das Institut hat eine Kommission einberufen, die den Bericht bewerten sollte. Diese Kommission bewertete ihn erst mit „A“ und stufte ihn dann per Erlass auf „B“ herunter. Als sie mir das mit „Fiebre“ antaten, ging ich zum Regierungsgebäude, um das einzufordern, was mir rechtmäßig zustand. Mein Film war argentinisch, in Argentinien gedreht, mit argentinischen Schauspielern und Arbeitern. Warum also eine solche Ungerechtigkeit? Der Punkt ist, dass ich durch sie Millionen verloren habe. Bin ich ein Verbrecher? No, señor!

Er hält kurz inne, um Luft zu holen, und fährt dann fort:

Worüber ich mich nicht beklagen kann, ist, dass ich heute absolute Freiheit genieße, zu sagen, was ich sage, damit die Leute wissen, was los ist. Ich glaube, dass der Kontrolleur in gutem Glauben handelt, aber sein guter Glaube reicht nicht aus. Dahinter steht ein Gesetz, das sich für alles eignet. Was würde passieren, wenn plötzlich ein bösartiger Beamter zu diesem schlechten Gesetz hinzukäme?

Er sinkt in seinen Stuhl. Es scheint, als würde er sich langsam beruhigen. Es ist an der Zeit, Fragen zu stellen, aber die Ruhe ist nur von kurzer Dauer. Plötzlich springt er auf wie eine Feder und mit den fünf Fingern seiner rechten Hand, die er zusammenpresst, wundert er sich, motiviert sich und macht dann mit vollem Tempo weiter:

Aber können Sie mir sagen, was der gefürchtete Ausdruck „kulturelle Leitlinien“ bedeutet? Jedes Mal, wenn sie einen Film verbieten oder mir eine schlechte Bewertung geben, argumentieren sie, dass er keine „kulturellen Leitlinien“ hat.

Glauben Sie, dass Ihre Filme kulturelle Leitlinien haben?

Ich glaube nichts. Ich mache weder mir noch anderen etwas vor. Also gut: Meine Filme haben nicht die sogenannten „kulturellen Leitlinien“. Aber gleichzeitig frage ich das Land: Welche „kulturellen Leitlinien“ haben Filme wie „Las pildoras“, „Los bastardos“ (Anm.: gemeint ist wahrscheinlich Guacho, 1954) oder all die Filme von Palito Ortega, Sandro und anderen wie diese? Oder gibt es ein Gesetz für Armando Bo und ein anderes für die Mentastis (Anm.: gemeint sind die Produzenten Atilio Mentasti und Luis Mentasti) und so weiter!

Der Wortschwall von Armando Bo geht in eine andere Richtung. Die Worte scheinen ihm zu wenig zu sein. Und er versucht, sie mit Gesten wegzuschieben, während Fragen von mir nicht nötig sind.

Beim Kino ist es genau dasselbe wie beim Fußball. Es gibt keinen Kopf, keine Idee. Die Clubs schmelzen dahin. Independiente, der das Finale der Fußballweltmeisterschaft erreicht, muss Pastoriza anschließend verkaufen. Ich hätte das Problem ganz einfach gelöst: Das Endspiel zwischen Independiente und den Niederländern hätte auf einem Platz in New York stattgefunden und wäre über Satellit übertragen worden. Der Erlös hätte so viel Geld eingebracht, wie wenn siebzig Endspiele zusammen gespielt worden wären. Und außerdem wären wir viel bekannter geworden. Aber es hat keinen Sinn, wir spielen immer noch mit einer Sarandí-Mentalität. Wir haben kein internationales Bewusstsein. In Filmen verwenden wir immer noch das in ganz Amerika verhasste „che“, anstatt uns für das „tu“ zu entscheiden (Anm.: in Argentinien wird umgangssprachlich „che“ für die Anrede „du“ benutzt, während es in anderen südamerikanischen Ländern „tu“ heißt). Einmal sagte jemand in einem Film, dass er ein „Boca-Fan“ sei, und ich weiß nicht mehr, in welchem Land das war, aber das ganze Kino wartete darauf, dass jemand mit einem geschwollenen Mund auftauchte. Und was macht das Filminstitut? Nichts. Argentinien ist das einzige Land der Welt, in dem Schauspieler mit mehr als vierzig Filmen ein ärmliches Leben führen. Seit zwanzigtausend Jahren möchte ich meine Stimme erheben und sagen, dass sie lügen, wenn sie um ein Darlehen von zweihundertfünfzig Millionen Pesos bitten, denn sie geben nicht einmal hundert Millionen aus. Sie plündern die Filmindustrie aus, sie plündern sie aus. Ich sage nicht, ob meine Filme gut oder schlecht sind, aber ich behaupte, dass ich ein echter Produzent bin und kein Bettler.

Er setzt sich wieder hin, jetzt offenbar ganz ruhig. Er zündet sich langsam eine Zigarette an und fährt in ruhigem Tonfall fort.

Wir alle werden für das, was wir tun, kritisiert. Ich, weil ich Isabel Sarli ohne Kleidung gezeigt habe, und Leopoldo Torre Nilsson, weil er unsere Helden als Männer gezeigt hat. Und wir beide werden als Ausbeuter der Gefühle der Argentinier bezeichnet.

Dann erinnert er sich an das Basketballspielen, an seinen ersten Film als Hauptdarsteller und an den Tag, an dem er versehentlich einen Journalisten schlug.

Es war, weil mir jemand einen falschen Hinweis gab und ich den Mann neben mir traf. Ich bin nicht schlecht, ich bin wie alle anderen. Ich habe achtzig Prozent meiner Fehler und zwanzig Prozent meiner Tugenden. Aber ich habe ein gutes Herz. Es gibt viele, die so denken wie ich, aber sie sagen es nicht. All das, was ich Ihnen so eifrig erzähle, scheint nichts zu sein, aber es ist ein Kampf von fast dreißig Jahren. Ich würde fünf- bis zehnmal mehr verdienen, wenn ich zum Beispiel nach Mexiko ginge. Aber ich kann nicht gehen. Vielleicht liegt es daran, dass ich das Café an der Ecke vermisse, die Halbmonde hier…, was weiß ich! Ich bin nichts weiter als das, was ich bin. Ich lüge niemanden an. Ich mache kommerzielle Filme und ich sage das auch. Aber man verzeiht mir nicht, dass ich aufrichtig bin. Ich bin so aufrichtig, dass ich Ihnen eine Sache verraten werde…

Welche ist das?

Dass mich diese ganze Verfolgung nicht emotional verletzt, sondern dass mich das ganze Geld stört, das ich verliere. Und jeder verdient gerne Geld. Mit dem Geld, das sie mir abnehmen, könnte ich zehn statt zwei Filme pro Jahr machen. Ich habe die Seele eines Produzenten. Mit dem Film „Todos los pecados del mundo“ gibt es ein Beispiel für die Ausplünderung des argentinischen Kapitals. Dieser Film wurde mit mexikanischen und argentinischen Schauspielern mit Susana Gimenez und José Marrone in den Hauptrollen gedreht. Er wurde mit argentinischem Geld aus dem argentinischen Filmförderungsfonds finanziert. Als der Film das Land verließ, wurden die meisten argentinischen Darsteller gestrichen und der Film wurde zu einem mexikanischen Film. Susana Gimenez ist auf dem Plakat kaum zu sehen. Marrone taucht nicht einmal auf.

Er holt eine etwa zwanzig Zentimeter lange Zigarre aus seiner Tasche. Er schlägt vor, sie mit mir zu teilen, aber ich lehne ab.

Was hat die Zensur in all der Zeit gebracht! Weniger Kriminalität, weniger Übergriffe? Nein, alles ist gleich geblieben. Fragen Sie mich, wie ich das alles in Ordnung bringen würde.

Wie würden Sie das alles in Ordnung bringen?

Ich würde völlige Freiheit gewähren. Die Freiheit schadet niemandem. Es gibt keinen Grund, Angst vor der Freiheit zu haben. Jeder soll den Weg wählen, den er bevorzugt, wir sind alt genug. Und wir sollten keine Angst vor dem Wettbewerb haben. Ich mag ein schlechter Regisseur sein, aber ich bin kein kultureller Heuchler.

(Anm.: der letzte Absatz ist unleserlich:) All das hat Armando Bo gesagt und wir denken, dass sein Wunsch zu reden nicht kleiner geworden ist… er hat nicht alles gesagt, damit er weiterreden kann… wie wir eingangs sagten, ein Glas Wasser wird niemandem verwehrt.

Gente N° 389 – 4 Enero 1973

Literatur:

Argentine Cinema and National Identity (1966–1976) – PDF
Violated Frames: Armando Bó and Isabel Sarli’s Sexploits – Vorwort
Wicked Women and Witches – Subversive Readings of the Female Monster in Mexican and Argentinian Horror Film

Links:

Deutschlandfunk: Von der Softporno-Queen zur Filmikone
Hard Sensations: Filmtagebuch einer 13-Jährigen
Kurzvortrag über Armando Bó im Kino des Deutschen Filmmuseums
Second Features: Podcast with Guest Victoria Ruétalo

Mehr 80er geht nicht

Break the Ice von John Farnham ist Teil des Soundtracks zu Rad (1986), der neben dem hierzulande bekannteren BMX Bandits (1983) der zweite große BMX-Filmklassiker ist. Im Gegensatz zu BMX Bandits hat es Rad nie nach Deutschland geschafft. Dabei hätte sich der englische Titel doch so schön für ein deutsches Wortspiel geeignet: BMX-Räd oder so ähnlich. BMX Bandits war bei uns zumindest ein kleiner Videotheken-Hit und wer bis dahin noch kein BMX-Bike hatte, setzte spätestens nach dem Film eines auf seine Wunschliste.

Im Vergleich ist Rad der etwas ernstere Film für eine ältere Zielgruppe, wohingegen BMX Bandits mit seinem Action-Klamauk auf Jüngere zugeschnitten ist. Was BMX Bandits fehlt, ist der große Soundtrack. Wo Rad die Kracher von John Farnham, Beat Farmers, Hubert Kah (Get Strange) und Real Life (Send me an Angel in einer absurden BMX-Tanzszene) auffährt, bietet BMX Bandits außer I’m ready to Fly von den Papers wenig, das hängenbleibt. Den kompletten Rad-Soundtrack kann man sich hier anhören.

Hörspiel: Grëul

Grëul in der Audiothek

Ich sage euch, Brüder. Dieses Tal ist die Hölle auf Erden. Die Sünde wuchert wie ein Furunkel an ihm. Und schneidet man es heraus, wachsen zwei neue.

Mönche finden bei der Feuerholzsuche im Zirnertal die übel zugerichtete Leiche der Tochter des örtlichen Schmieds. Panisch berichten sie Abt Aegidius von dem Fund. Der hat sofort den Verdacht, dass der Mörder in den eigenen Reihen zu finden ist. Um das Kloster und die Kirche zu schützen, ersinnt er einen hinterhältigen Plan. Er versucht, die heidnischen Dorfbewohner davon zu überzeugen, dass die Tote tatsächlich auf das Konto des Grëul geht, ein schreckliches Monster einer alten Legende. Gleichzeitig hofft er so, die Heiden zum Glauben bekehren zu können. Der Plan gerät jedoch schon bald ins Wanken, da der Pilger Enno von Malmedy im Kloster herumschnüffelt und der Bischof einen großspurigen Dämonenjäger ins Zirnertal entsendet. Zudem lassen sich der Schmied und die Dorfbewohner auch nicht so leicht von den vermeintlich guten Absichten der Kirche überzeugen. Als weitere Tote gefunden werden, darunter ein Mönch, spitzt sich die Situation zu.

Mit Grëul hat der WDR eine Hörspielserie veröffentlicht, die mir rundherum ausgesprochen gut gefällt. Anfangs macht Grëul noch den Eindruck, als handele es sich um eine geradlinige Mord- und Vertuschungsgeschichte, der man einen Mystery-Anstrich verpasst hat. Kleine Nebenhandlungen, die stets zurück zur Haupthandlung verweisen, und eine Verschwörung hinter der Verschwörung machen das Hörspiel im Verlauf jedoch zu einer vielschichtigen und wendungsreichen Geschichte. Es passiert hier ziemlich viel auf verschiedenen Ebenen, ohne dass die Geschichte überfrachtet wirkt. Das Tempo bleibt über die acht Folgen hinweg hoch. Zu guter Letzt wird mit der Legende des Grëul schön subtil gespielt. Es ist doch nur eine Legende, oder etwa nicht?

Erzählerisch und produktionstechnisch überzeugt das Hörspiel auf ganzer Linie. Sehr guter Schnitt und Szenenwechsel im Speziellen. Die Dialoge sind weit weg von Plattheit und Klischee. Eine literarische Höhe wie bei Game of Thrones bekommt man zwar nicht geboten, aber es macht hier einfach großen Spaß zuzuhören. Das liegt auch daran, dass man dankenswerterweise ein bischen mittelalterlichen Dreck in die Sprache eingebacken hat. Und an der großartigen Besetzung. Das Hörspiel hat über 40 Sprechrollen, die von teils sehr bekannten Schauspielern übernommen wurden. Auch wenn das ganze Ensemble gut abliefert, will ich besonders Matthias Koeberlin hervorheben, der seine Stimme ein bis zwei Oktaven tiefer gestellt hat und als Schmied Ulrik seine Wut und Rachegelüste beängstigend rausbellt, und Rainer Bock als Abt Aegidius, der leichtfüßig zwischen Fürsorge, Arglist und Überheblichkeit hin- und hertänzelt.

Bevor man in das Hörspiel einsteigt, sollte man jedoch wissen, dass es sich bei den acht Folgen um die erste Staffel handelt, worauf nirgends hingewiesen wird. Das bedeutet: am Ende gibt es einen Cliffhanger, Fragen bleiben offen und der Hörer muss eine unbestimmte Zeit auf die Fortsetzung warten. Der einzige Wermutstropfen dieses grëuslichen Spektakels.

Unbekanntes französisches Lied über James Bond

In der Arte-Dokumentation Sean Connery vs James Bond ist ein kurzer Ausschnitt eines niedlichen Songs über James Bond zu sehen und zu hören, vorgetragen von einer Sängerin in schickem Cord-Jackett und einer Band mit zu vielen Saiteninstrumenten für die simple Melodie. Ich habe versucht herauszufinden, um wen es sich handelt. Ohne Erfolg. Damit der Clip erhalten bleibt, wenn Arte die Doku offline nimmt, habe ich den Clip auf Youtube hochgeladen.

Le silence de la nuit
Tcham chai la
et trois coups de fusil.
Tcham chai la
En moins d’une seconde.
C’est James Bond.

Content-ID von Youtube zeigt nichts an. Das heißt, das Lied ist in keiner Datenbank für Verwertungsrechte enthalten. Eine Bildsuche blieb genauso erfolglos wie eine Suche nach dem Text oder eine Suche in den online zugänglichen Teilen von historischen Videoarchiven. Ich habe natürlich auch direkt an Arte geschrieben, aber bisher keine Antwort erhalten. Vielleicht haben die selbst Probleme herauszufinden, woher das Video stammt. Solange niemand den Ursprung des Videos kennt, bleibt die beste Chance wohl, dass jemand die Sängerin erkennt. Falls jemand eine Idee hat, würde ich mich über einen Kommentar freuen.

Zinksärge für die Goldjungen (1973)

Ich habe zwei seltene Promofotos zu Jürgen Rolands Hamburger Gangsterstreifen Zinksärge für die Goldjungen entdeckt. Der Herr mit lichtem Haar und kühler Knarre ist kein geringerer als Uwe Carstens, auch bekannt als Dakota-Uwe, der in den 1970er Jahren bei der berüchtigten Chikago-Bande mitmischte und in Zinksärge für die Goldjungen einen Gastaufritt hatte. Im Hintergrund posiert Sonja Jeannine mit blonder Perücke.

Als Zugabe ein Streaming-Tipp: Wer wissen möchte, wie es im Hamburger Rotlichtmilieu tatsächlich zuging und was Dakota-Uwe so alles auf dem Kerbholz hatte, dem empfehle ich die dreiteilige ZDF-Dokumentation Die Paten von St. Pauli. Mir waren zwei einige Begebenheiten und Namen bekannt, aber die ganze Geschichte so gebündelt und chronologisch durch die Jahrzehnte hindurch erzählt zu sehen, ist noch mal eine ganz eigene Nummer. Das ist erschreckend wie unterhaltsam gleichermaßen. Diese Typen, diese Taten, ein Irrsinn.

Dieses Thema empfiehlt sich eigentlich für eine fiktionalisierte Aufarbeitung in Form einer großen Serie. Was HBO mit The Deuce für New York gemacht hat, könnte man auch für Hamburg umsetzen. Nur krasser. Könnte das nächste große deutsche Ding nach Babylon Berlin werden.

Nachtrag:

Es stellt sich heraus, dass Amazon an genau einer solchen Serie gearbeitet hat. Luden – Könige der Reeperbahn erscheint am 3. März und erzählt vom Machtkampf zwischen der Nutella-Bande und der GMBH. Herrlich!