Die Karte mit dem Luchskopf und Honey West

Ich bin stets aufs Neue überrascht, welche Anzahl von Filmen, Serien und Hörspielen das rührige Label Pidax Monat für Monat veröffentlicht. Pidax hat sich auf die Produktionen spezialisiert, die schon seit geraumer Zeit nicht mehr oder niemals zuvor käuflich zu erwerben waren. Das können Klassiker und Publikumslieblinge sein, aber auch wenig Bekanntes. Folgend soll es um eine bestimmte Serie gehen.

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Einige Pidax-Veröffentlichungen sind auch auf Amazon Prime Video verfügbar, wo ich die Serie Die Karte mit dem Luchskopf entdeckt habe. Die Serie ist gleich in mehrfacher Hinsicht interessant. Die Karte mit dem Luchskopf startete am 3. April 1963 im ZDF, nur zwei Tage nach dem offiziellen Sendebeginn des Senders, und ist damit nicht nur die erste Krimiserie, sondern die allererste Serie des ZDF überhaupt. In der Serie eröffnet die „junge und überaus attraktive Kai Fröhlich“ (Werbetext) ein Detektivbüro, womit man der Serie auch attestieren kann, die erste deutsche Serie mit einer Detektivin in der Hauptrolle zu sein. Kai Fröhlich, gespielt von Kai Fischer, die Genrefans in etlichen Gangster- und Horrorstreifen der 50er und 60er Jahre begegnet sein dürfte, richtet ihr Büro im Haus der Tante ein. Damit die Kunden der Detektei ihr als Frau unvoreingenommen entgegen treten, erfindet sie einen imaginären männlichen Chef namens Luchs und sie selbst gibt sich als dessen Sekretärin aus.

Bei der titelgebenden Karte handelt es sich um die Visitenkarte der Detektei, die in der gesamten Serie allerdings keine große Rolle spielt. In den meisten der dreizehn Folgen läuft die Handlung darauf hinaus, dass Kai Fröhlich sich irgendwo undercover einschleicht, sei es eine Autowerkstatt, um Autoschieber hops zu nehmen oder eine Hipster-Kommune, um den Diebstahl eines Gemäldes aufzuklären.  Das ist zwar fernsehhistorisch sehenswert, aber formal betrachtet aus heutiger Sicht ziemlich naiv geschrieben und bieder inszeniert. Das mag das deutsche Publikum damals freilich ganz anders gesehen haben. Aber Die Karte mit dem Luchskopf hat letztlich keine nachhaltige Wirkung gehabt, andernfalls wäre die Serie nicht nur eine Fußnote der deutschen Fernsehgeschichte geblieben. Immerhin sorgt die Pidax-Veröffentlichung für eine größere Bekanntheit.

An dieser Stelle komme ich nicht umhin, einen Blick auf England und die USA zu werfen. Diana Rigg sollte als Emma Peel zwar erst 1965 mit ihrem Einstieg in die vierte Staffel von The Avengers (Mit Schirm, Charme und Melone) für Furore sorgen, doch mit Dr. Catherine Gale, gespielt von Honor Blackman, besaß die Serie bereits seit der ersten Staffel eine Figur, die ein neues, emanzipiertes Frauenbild transportierte, dessen Einfluss auf Die Karte mit dem Luchskopf naheliegend erscheint. Dem deutschen Publikum dürfte die Serie damals weitgehend unbekannt gewesen sein, denn die deutsche Erstaustrahlung von The Avengers fand erst 1966 statt. Auch übrigens im ZDF.

Ein weiterer Vergleich drängt sich mit der amerikanischen Serie Honey West auf. In dieser Serie übernimmt die von Anne Francis gespielte Titelfigur von ihrem verstorbenen Vater eine Detektivagentur und klärt ähnliche Fälle wie ihre Kollegin Kai Fröhlich, allerdings alle eine Nummer spektakulärer. Ein paar Ähnlichkeiten stechen bei diesen beiden Serien besonders ins Auge:

Kai Fröhlich nennt sich Luchs und hat den Luchskopf auf den Visitenkarten, während Honey West einen Ozelot als Haustier besitzt.

Kai Fröhlich fährt einen MG A 1500, Honey West eine Shelby Cobra 289.

Skillz! Beide können Judo.

Beide finden sich desöfteren in brenzligen Situationen wieder.

Beide haben eine Tante, die sich überall einmischt.

Beide nutzen High-Tech-Gadgets.

Sowohl Kai Fröhlich als auch Honey West haben einen männlichen Sidekick, mit dem sie sich kabbeln. Hauptwachtmeister Kargel (gespielt von Karl-Otto Alberty) taucht bei Kai Fröhlich allerdings nur hin und wieder mal auf, während Sam Bolt (gespielt von John Ericson) ständiger Helfer und Begleiter von Honey West ist.

Die zwei Serien nutzen also sehr ähnliche Komponenten und Tropes. Bei allen anderen Punkten könnte man sagen: Zufall. Aber der Luchs und der Ozelot? Das liegt zu nahe. Kann Die Karte mit dem Luchskopf von Honey West inspiriert worden sein? Auf den ersten Blick scheint das unwahrscheinlich, denn Honey West entstand zwei Jahre nach der deutschen Serie. Auf den zweiten Blick wird es allerdings plausibler, denn die Serie Honey West basiert auf einer Romanreihe, deren erster Roman bereits 1957 erschien, also weit vor Die Karte mit dem Luchskopf, und beinhalte bereits oben genannte Merkmale vom Ozelot über den Roadster bis zum Sidekick.

Im Abspann von Die Karte mit dem Luchskopf heißt es: Drehbuch Wolf Neumeister, nach einer Idee von Kai Fischer. Deutsche Übersetzungen der Honey-West-Bücher erschienen erst 1969 im Loh-Verlag, aber aufgrund ihrer internationalen Tätigkeit in den 50er und 60er Jahren, könnte es im Bereich des Möglichen liegen, dass Kai Fischer die Romane bekannt waren. Letztlich aber bleibt das Spekulation, denn die Ähnlichkeiten können tatsächlich auch ein schräger Zufall sein.

Wie schon erwähnt, geht bei Honey West alles eine Nummer größer zu. Die Fälle sind spektakulärer und die Action ist aufsehenerregender. Bereits in der ersten Folge gibt es eine rasant inszenierte Autoverfolgungsjagd zu sehen. Überhaupt wirkt Honey West deutlich dynamischer speziell was Kamera und Schnitt anbelangt. Ein kesser Swing-Soundtrack von Joseph Mullendore tut sein übriges dazu. Die Karte mit dem Luchskopf ist dagegen nahezu musiklos und wirkt in vielen Szenen statisch. Trotz der kurzen Laufzeit von 25 Minuten pro Episode, gelingt es der Serie nur selten Tempo aufzunehmen. Honey West besitzt abwechlsungsreichere Sets und deutlich mehr Außendrehs. Und schließlich ergibt sich auch in den Dialogen noch mal eine große Diskrepanz. Bei Honey West und ihrem Partner Sam Bolt geht es deutlich screwballiger zu. Deren verbaler Schlagabtausch wirkt auch heute noch recht launig, wohingegen die Dialoge beim deutschen Pendant oft blass und bemüht wirken.

Eine größere Ähnlichkeit besteht beim Typus von Honey West und Kai Fröhlich und dem Frauenbild, das vermittelt wird. Beide treten forsch und fordernd auf, spielen aber auch die ahnungslose, hilflose Frau, wenn es nötig ist, um den Fall zu lösen. Beide wissen, was sie wollen und können, werden mitunter nicht ganz ernst genommen und müssen sich beweisen. Kai Fröhlich mehr als Honey West. Honey West’s Beruf als Detektvin wird tatsächlich selten hinterfragt oder angezweifelt, während Kai Fröhlich sich hinter einem imaginären männlichen Chef verstecken muss. Auch ein schöner amerikanisch-deutscher Gegensatz. Honey West streicht den Ruhm in stolzer Selbstverständlichkeit ein, Kai Fröhlich genießt ihre Siege dagegen in aller Bescheidenheit; und bleibt dafür in der Öffentlichkeit aber auch auf ewig nur die Sekretärin.

Der Vergleich mag ein wenig unfair sein. Was Budget und Fernseh-Erfahrung anbelangt, lagen die Amerikaner schon immer weit vorn. Nichtsdestotrotz eignen sich die beiden Serien sehr schön für einen Vergleich des deutschen Fernsehens mit dem amerikanischen Fernsehen in den 1960er Jahren, weil sie trotz der Gegensätzlichkeit so ähnlich sind. Die Karte mit dem Luchskopf ist dank Pidax und Amazon als DVD und Stream verfügbar. Honey West ist als englischsprachige DVD erhältlich und zudem finden sich etliche Folgen auf Youtube.