
Der amerikanische Komponist und Orchesterleiter Les Baxter (1922 – 1996) legte mit seinem 1952 bei Capitol erschienen Album Ritual of the Savage den Grundstein für das Musikgenre, für das später von Martin Denny durch sein gleichnamiges Album der schöne Begriff Exotica geprägt wurde.
Exotica erzählt klischeehaft, aber virtuos und meist ganz ohne Worte, von fremden Orten in der weiten Welt. Von der lauen Nacht im afrikanischen Safari-Camp, der gesunkenen Galeone vor den Bahamas, dem unentdeckten Dorf im Amazonas-Dschungel, dem geschäftigen Treiben in Marokkos Häfen oder von der holprigen Rikscha-Fahrt durch Hongkong. Weltmusik für den Salonreisenden und Stubenhocker. Musik, die hätte sein können, so aber doch nie war. Eine schöne Fantasie.
Aber halt. Die Authentizität sollte man Baxter nicht gänzlich absprechen. Baxter war interessiert an fremden Klängen, studierte laut eigener Aussage schon als Jugendlicher chinesische Musik, und orientierte sich bei seinen Kompositionen nicht selten an Original-Melodien aus den jeweiligen Ländern. Trotz der ganzen im Primitivismus verwurzelten Klischees, oder vielleicht auch gerede wegen dieser, haben Baxters Werke oft eine fundierte Glaubwürdigkeit. Dass diese Musik heute ein wenig wie aus der Zeit gefallen wirkt und manche von kultureller Aneignung sprechen, sollte im Zuge der nostalgischen Schwärmerei getrost ignoriert werden.
Zwischen Baxters exotischen Eskapaden der 50er Jahre, von Ritual of the Savage über Tamboo!, Carribean Moonlight, Ports of Pleasure bis zu Jungle Jazz and African Jazz, finden sich auch genre-abseitige Alben wie das romantisch verkitschte Thinking Of You, das anzügliche La Femme, das die weiblichen Körperpartien musikalisch darstellt, und das hochdramatische Album The Passions, auf dem Bas Sheva wortlos die sieben Leidenschaften beklagt, bestöhnt und beschreit. Ein wildes Ding – und alles andere als Easy Listening.

In den 60er und 70er Jahren verschrieb sich Baxter dann weitgehend dem Komponieren, Orchestrieren und Arrangieren von Film- und Fernsehsoundtracks. Über 100 Filme hat er vertont, ein Großteil davon für American International Pictures (AIP), dabei oft unter der Produzentenhand von Roger Corman. Neben Ronald Stein war Les Baxter 15 Jahre lang Haus-Komponist der AIP.
In dieser Zeit entstanden Soundtracks für höchst unterschiedliche Filme, die Baxters ganze Bandbreite zeigen. Ob Western, Strandparty-Komödie, Biker- oder Motorsport-Streifen, Horror oder Action-Exploiter. Baxter war in der Lage, zuverlässig und zügig, meist innerhalb von nur zwei Wochen, den Filmen einen ansprechenden Soundtrack zu verpassen. Manchmal ungewöhnlich wie in Frogs. Manchmal gegen den Strich wie in The Dunwich Horror. Herausragend sind seine orchestralen Soundtracks zu der Poe-Reihe von Roger Corman und die 20-minütige Suite zu Cry of the Banshee. Über die Praxis von AIP, italienische Filme wie Black Sabbath (Die drei Gesichter der Furcht) mit neuen Scores zu versehen, kann man freilich geteilter Meinung sein. Die Original-Musiken sind nicht selten mindestens genauso gut wie Baxters Versionen, und in manchen Fällen sogar passender.
Da Baxter ausschließlich für B-Filme komponierte, finden sich in seiner Filmografie, wenig überraschend, auch etliche Obskuritäten, Raritäten und filmische Gurken, bei denen Baxters Musik oft besser ist als der Film selbst. Dazu gehört The Sacred Idol. Es ist einer der wenigen Baxter-Soundtracks, der auch als Exotica-Album durchgeht und es gehört für mich als solches zu seinen schönsten.
„Strange and exotic music keyed to the mysterious legends of the Feathered Serpent of the Aztecs“ steht auf dem Cover. Und: „From the motion picture The Sacred Idol produced by Edward Nassour“.
The Sacred Idol, ein Film, der in keiner Datenbank auftaucht und der laut Wikipedia nie gedreht wurde. Doch das stimmt nicht ganz. Bei The Sacred Idol handelt sich eigentlich um den mexikanischen Film La Ciudad Sagrada (1959), der in dieser Form nie eine Veröffentlichung in den USA hatte und auch sonst außerhalb von Mexiko nirgends erschienen ist. Stattdessen wurde der Film für die US-Fassung mit neu gedrehten Szenen und jeder Menge Archivmaterial zusammengeschnitten, und 1964 unter dem Titel The Mighty Jungle herausgebracht. Die Verbindung zu Baxters Soundtrack-Album war so nicht mehr nachzuvollziehen, zumal im Film von Baxters Musik auch eher wenig zu hören ist.

The Mighty Jungle ist ein merkwürdig verbastelter Film, der keiner richtigen Handlung mehr folgt. Echter Schnittkäse. Anstatt eine Geschichte über eine aztekische Legende zu erzählen, wie es das Original tut, wechselt das Geschehen in der US-Fassung zwischen Mexiko und Afrika hin und her. Anstelle von Dialogen hört man einen Erzähler, der vielsagend vor den Gefahren des Dschungels warnt. Wenn dann noch Kämpfe von Wildtieren gezeigt werden und die Rede davon ist, dass die „perfekte Form der Pygmäen-Frauen die sexuelle Neugierde des normalgroßen Mannes weckt“, wird klar, dass man es hier mit einer Pseudodokumentation im Mondo-Stil zu tun. Der Produzent der US-Fassung sprang mit The Mighty Jungle billigst auf den Genre-Zug der Mondo-Filme auf, der gerade richtig Fahrt aufnahm. Erfolgreich war er damit nicht. The Mightly Jungle blieb bedeutungslos und ist heute vergessen. Das mexikanische Original allerdings auch. Was bleibt, ist Les Baxters Soundtrack-Album unter dem Titel The Sacred Idol.



Baxter hatte sich einst geschworen, kein Filmangebot abzulehnen. Ohne Vorbehalt reiste er nach Mexiko, um sich vor Ort um den Soundtrack zu kümmern. In einem Hotelzimmer einquartiert und gänzlich ohne Zugriff auf Instrumente, schrieb Baxter in kürzester Zeit die komplette Musik. Das Einspielen gestaltete sich allerdings schwieriger, denn in Mexiko fand man zwar Orchester und Studio, aber nie war beides zu selben Zeit verfügbar. Baxter flog also mitsamt dem Film zurück und spielte die Musik mit seinen Musikern in Los Angeles ein. Als Produzent fungierte Voyle Gilmore, der zuvor schon einige Alben von Baxter produziert hatte.
The Sacred Idol erschien im Januar 1960 bei Capitol. Das Billboard Magazine bescheinigte dem Album in seiner an Verkäufer gerichtete Review-Sparte nüchtern ein „besonders großes Verkaufspotential“ und beschrieb die Musik als „aufregend, exotisch und farbenfroh“, was für ein Baxter-Album eine triviale Erkenntnis war. Ein Kritiker im HiFi-Fachblatt Audio, das sich vorwiegend mit Hardware beschäftigte, wunderte sich hingegen, dass „Leute immer noch so etwas kaufen“. Der Kritiker dachte, „Musik über aztekische Götter wäre schon mit dem Erscheinen der ersten Tonfilme aus der Mode gekommen“.
Ganz so altmodisch klingt das Album allerdings nicht. The Sacred Idol vereint typische Exotica-Motive mit der Dramatik eines Abenteuerfilms. Es dominieren Flöten, Harfen, Xylophon-Geklöppel und Percussion-Instrumente. Bläser sind nur akzentuiert zu hören. Als verbindendes Element der Songs fungieren die allgegenwärtigen vielstimmigen Chöre, die Baxter auch auf anderen Alben eingesetzt hat. Einzelne Momente erinnern hier an das erste Album von Yma Sumac, Voice of the Xtabay, das Baxter 1950 schrieb und orchestrierte. So ergibt sich aus diesen teils sehr unterschiedlichen Stücken, von dem erhabenen Procession Of The Princes über das nebulöse Fruit Of Dreams bis zum atonal chaotischen The High Priest Of The Aztecs, eine atmosphärische Klangreise durch ein märchenhaftes, mythisch verklärtes Azteken-Reich mit blutigen Ritualen, prachtvollen Landschaften und goldenen Tempeln. Auch wenn die Eroberung durch die Spanier im Stück Conquistadores zur heldenhaften Hymne gerät, egal. Schließlich sind weder La Ciudad Sagrada noch The Mighty Jungle kritische Auseinandersetzungen mit dem Kolonialismus. Es sind Unterhaltungsfilme und Les Baxter hat mit The Sacred Idol die passende Musik geliefert. Musik, die auch – und eigentlich insbesondere – ohne den Filmkontext funktioniert. Für Retro-Fans bleibt The Sacred Idol auch heute noch ein spannendes Hörerlebnis.


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