
Im Januar ist Tom Selleck 80 Jahre alt geworden. Beeindruckende 60 Jahre hat er in der Film- und Fernsehbranche gearbeitet. Passend zu diesem Jubiläum ist bereits letztes Jahr seine Autobiografie „You Never Know“ erschienen, die in der deutschen Übersetzung als „Man kann nie wissen“ veröffentlicht wurde.
Seit Magnum, die erste Erwachsenenserie, die ich als Kind sehen durfte, bin ich ein Fan von Selleck, habe sein Schaffen durch die Jahrzehnte verfolgt und sehe ihn auch heute immer noch gerne, egal wo er auftaucht. Und Magnum steht bei mir alle paar Jahre mal auf dem Programm. Vielleicht ist es nostalgische Verklärung, aber ich würde behaupten, die Serie ist recht gut gealtert und hat wenig von ihrem Charme und Unterhaltungswert verloren. Nicht zuletzt wegen Selleck und dem Rest der fantastisch zusammenspielenden Besetzung.
Mit Spannung habe ich daher die Autobiografie erwartet, in der Hoffnung, interessante Einblicke ins Leben und Schaffen von Selleck aus erster Hand zu erhalten. Dafür durfte es dann auch gerne die signierte Erstausgabe sein.

Wer schon einmal ein Interview mit Selleck gesehen oder gelesen hat, weiß, dass er ein guter Erzähler ist. Das wird auch im Buch deutlich. Was Co-Autor Ellis Henican beigesteuert hat oder inwiefern er beratend zur Seite stand, ist unklar. Aber man hat hier nicht das Gefühl, dass Selleck jemanden nur seine Geschichte erzählt und derjenige diese dann aufgeschrieben hätte. Der Ton ist persönlich und authentisch. Hier spricht Selleck.
Mit der typischen Gelassenheit und der Selbstironie, die nicht selten auch seine Filmfiguren auszeichen, lässt Selleck seine Karriere Revue passieren und nimmt den Leser mit auf eine doch überraschend emotionale Achterbahnfahrt. Das gelingt Selleck so gut, dass sich an Kapitelenden manchmal echte Cliffhanger-Spannung einstellt; und das selbst dann, obwohl man weiß, dass Selleck die Indiana-Jones-Rolle ausschlagen musste oder das Magnum trotz Autorenstreik in Produktion ging.
Selleck beginnt das Buch mit einer Jugendanekdote, wie er 1962 das Auto seiner Eltern an einem Abhang am Mulholland Drive schrottete, geht dann direkt über zu seiner Zeit an der Uni, und erzählt, wie er mehr zufällig als absichtlich in die Schauspielerei geriet. Eigentlich suchte Selleck nur nach einem Uni-Fach, das eine leicht zu erreichende Bestnote versprach, um seinen Notenschnitt zu heben. Amerikanische Theatergeschichte kam da gerade recht. Sein Professor hielt Selleck für ein gutes Werbegesicht und vermittelte ihm einen Agenten. Selleck nahm das Ganze zunächst nicht besonders ernst, sondern sah darin eine Möglichkeit nebenbei Geld zu verdienen.
Sellecks erster Job, dem ihm sein neuer Agent vermittelte, war ein Trainingsfilm für Psychiater der Air Force. Es folgten ein Fernsehauftritt in einer Dating-Show und Werbefilme für Pepsi. Das Angebot von 20th Century Fox, an deren Trainingsprogramm für neue Talente teilzunehmen, gab Selleck schließlich den Ausschlag, nicht ohne Zögern und Abwägen aller Optionen, eine professionelle Schauspielkarriere zu verfolgen.
Der Rest ist Geschichte, möchte man meinen. Doch so einfach war es freilich nicht. Selleck musste erst mal kleine Brötchen backen und sich von Werbefilm zu Statistenrolle hangeln, und es hieß für ihn, aus jedem der zahlreichen Rückschlage zu lernen und an seinem Schauspiel zu arbeiten. Selleck nennt es „laying bricks“, also mühsam mauern, Stein auf Stein.
Für Selleck galt: nicht verzagen und jede Möglichkeit, die sich bot, zu nutzen, hartnäckig am Ball bleiben. Auch dahin gehen, wo man eigentlich vielleicht gar nicht hin will, über den eigenen Schatten springen. Wobei wir beim Buchtitel wären. You Never Know. Denn man weiß ja nie, was sich ergibt. Dabei erspart Selleck dem Leser abgeschmackte Durchhalteparolen oder andere Plattitüden. Dafür ist er, wie gesagt, ein zu guter Erzähler.
Sellecks Beharrlichkeit sollte sich auszahlen. Nach Auftritten in Fernsehserien, von Schatten der Leidenschaft über Die Straßen von San Francisco bis Charlie’s Angels, kleineren Rollen in Filmen wie Myra Breckenridge, Schlacht um Midway und Coma sowie zahlreichen Werbefilmen, zog Selleck eine Hauptrolle in der Mini-Serie The Sacketts an Land. Eine klassische Western-Geschichte über drei Brüder. An der Seite von Selleck spielten Sam Elliot, den Selleck beim Fox-Talent-Programm kennengelernt hatte und mit dem er bis heute befreundet ist, Jeff Osterhage und Schauspiel-Legende Glenn Ford. Regie führte Robert Totten (Gunsmoke). Für Western-Fan Selleck war das aus persönlichen Gründen eine große Sache. Doch auch karrieretechnisch war The Sacketts genau das, was Selleck brauchte. Wohlgemerkt, geschlagene zehn Jahre nachdem er ins Showgeschäft eingestiegen war. Er schreibt:
„It’s no exaggeration to say that The Sacketts changed me. I had done
a solid piece of work, and people would actually see it. I had found a
genre where I was sure I belonged. I had been exposed to a lifestyle that
I had never really considered but I wouldn’t soon forget. That job
changed my professional opportunities and my whole outlook on what
my appetites might be—and not only as an actor. In all of my life. This
life should be a part of my life.“

Kurz darauf erhielt Selleck von Universal das Drehbuch zur Pilotepisode einer neuen Serie namens Magnum P.I. zugeschickt. Dabei ergaben sich drei Probleme. Erstens: Es war kein Angebot, das Selleck vor die Wahl stellte, es auch ablehnen zu können, denn Universal wollte die Episode einfach unter den vorherigen Vertrag stellen, den Selleck aber bereits vollständig erfüllt hatte. Zweitens: Autor und Showrunner war Glen A. Larson, dessen Serien Selleck hasste. Drittens: Selleck fand das Drehbuch schlecht. Zwar enthielt es auch schon die heute bekannten Motive wie den Ferrari und die Dobermänner, jedoch fehlte, so Selleck, der Hauptfigur die Tiefe. Harry Magnum, wie die Figur noch im Drehbuch hieß, sei ein makelloser James-Bond-Typ gewesen.
Selleck besann sich seiner starken Position und setzte anwältliche Maßnahmen in Gang, um sich aus dem unrechtmäßigen Vertrag zu befreien. Bevor es dazu jedoch kommen, und so die Fernsehgeschichte vielleicht einer großartigen Serie beraubt werden konnte, erhielt Selleck einen Anruf von Glen Larson. Der lud ihn nach Hawaii ein.
Einen Erste-Klasse-Flug Los-Angelels-Hawaii-Los-Angeles später war Selleck immer noch nicht überzeugt, zumal es ihn wütend machte, dass Universal zwar einen Haufen Kohle für die Reise nach Hawaii ausgab, ihn aber für Magnum mit dem alten Vertrag abspeisen wollte:
„They were willing to spend tons of money on an extravagant trip to get me on the cheap. That really pissed me off.“
Selleck realisierte jedoch, dass Magnum eine große Chance war, die er sich einfach nicht entgehen lassen konnte. Es ging immerhin um seine eigene Serie, die auf mindestens 7 Jahre angelegt war. Zumindest bei Erfolg, an dem Selleck andererseits zweifelte. Die Vernunft setzte sich trotzdem durch und er entschloss sich, den Piloten zu machen, aber unter der Bedingung, dass Glen Larson nichts mit der Serie zu tun haben würde. Und so kam es. Sellecks Anwalt schaffte es, Universal zu überzeugen und einen guten Deal auszuhandeln.
Glen Larson wurde durch Don P. Bellisario ersetzt, zu dem Selleck direkt einen guten Draht entwickelte. Es gelang Selleck, seine Vorstellungen mit in die Serie einzubringen. Aus Harry Magnum wurde Thomas Magnum, aus dem glatten James-Bond-Typ wurde ein Vietnam-Veteran mit Ecken und Kanten.
Auch wenn die Produktion von Magnum durch allerlei Höhen und Tiefen ging, und bereits zu Anfang aufgrund eines Autorenstreiks kurzzeitig ganz auf der Kippe stand. Jetzt ist der Moment, an dem man sagen könnte, der Rest ist Geschichte. Entgegen Sellecks Bedenken wurde die Serie ein Hit.

Fast die Hälfte des Buches widmet Selleck dem Kapitel Magnum. Wenig verwunderlich, denn trotz allem, was Selleck sonst noch so gemacht hat, und es ist wenig Schlechtes dabei gewesen, Magnum war die wichtigste Serie seiner Karriere. Statt 7 sollte sie 8 Jahre laufen. Und die Serie wurde nicht etwa wegen mangelndem Zuschauerinteresse eingestellt. Das Studio hätte gerne weitergemacht, doch Selleck war nach 8 Jahren Dauerproduktion in der Hitze Hawaiis ausgelaugt und sein Privatleben litt unter der Arbeit. Da war es an der Zeit, Thomas Magnum aloha zu sagen.
Neben dem Einstieg ins Filmgeschäft und dem harten, langen Weg hin zu Magnum, erfahren Sellecks Liebe zu Western und Sport eine größere Beachtung im Buch. Noch ausführlicher erzählt er von seiner Militärzeit. 1967, auf der Höhe des Vietnamkriegs, erhielt er seinen Musterungsbescheid. Vor die Wahl gestellt, entschied sich Selleck als Reservist zur Nationalgarde zu gehen. Die 6 Jahre konnte er in Teilzeit ableisten, was ihm gestattete, nebenbei weiter als Schauspieler tätig zu sein.
You Never Know ist ein Buch von Tom Selleck über Tom Selleck. Selleck war schon immer ein Star, der sein Privatleben weitgehend abgeschirmt hat. Diese Diskretion behält er auch im Buch bei. Selleck erzählt zwar recht frei über seine Eltern, seine Brüder, seine erste Ehe mit Jacki Ray, seine Beziehung zu Jillie Mack, mit der er seit 1987 verheiratet ist, und erwähnt öfter seinen Adoptivsohn Kevin, bleibt dabei aber stets in der eigenen Gefühlswelt. Selleck will hier niemanden der Öffentlichkeit preisgeben außer sich selbst. Ebenso vermeidet es Selleck, schmutzige Wäsche zu waschen oder Leute vorzuführen. Nur an einer Stelle teilt er aus. Dann, als es um die Tratschgeschichten geht, die die Boulevardpresse über seine Ehe mit Jacki Ray unbarmherzig rausfeuerte – und man merkt, dass es ihm ein Anliegen ist, dies klarzustellen und alle Schwätzer und Klatschtanten abzuwatschen.

Was Selleck in seiner Autobiografie besonders gut gelingt, ist dem Leser zu vermitteln, warum er welche Entscheidung in seiner Laufbahn getroffen hat und wie er an und mit seiner Arbeit als Schauspieler, aber auch persönlich als Mensch, gewachsen ist. Hier wird Selleck nahbar – zumindest so nahbar, wie ein Tom Selleck sein kann. Ebenso ist es höchst spannend, zu erfahren, wie das so war, in den 80er Jahren Fernsehen zu machen und zum Star aufzusteigen. Für Selleck war es eine Herausforderung, mit dem plötzlichen Ruhm und der Öffentlichkeit umzugehen.
Dazu ist das Buch vollgepackt mit Anekdoten, die mal spaßig sind, wie beispielsweise Sellecks Privatcasting mit Mae West für den Film Myra Breckenridge, mal tragisch, wenn es um den Tod von Stunt-Männern beim Dreh von Magnum und High Road to China geht, und mal popkulturell höchst interessant. Wer wusste etwa schon, dass es Tom Selleck ist, der auf dem Filmposter zu Valley of the Dolls Barbara Parkins Hals küsst? Sellecks erster Job im Fox-Talent-Programm. Oder dass beim Test für Indiana Jones, Selleck nicht mit Karen Allen spielte, die die Rolle der Marion später bekommen sollte, sondern mit Sean Young? Überhaupt ist die ganze Geschichte rund um Indiana Jones ausgesprochen spannend und filmhistorisch von hoher Bedeutung. Was wäre, wenn Selleck Indiana Jones gespielt hätte? Selleck, der sich diese Frage natürlich auch stellte, schaffte es schnell, die Situation zu akzeptieren. Er sah Raiders of the Lost Ark 1981 im Kino auf Hawaii und war begeistert. Es war schlichtweg ein guter Film. Harrison Ford war Indiana Jones. Und Indiana Jones war Harrison Ford. Und Selleck spielte Magnum, eine Figur, die er liebte. Damit gab es für Selleck keinen Grund mehr, der Indy-Rolle hinterherzutrauern.

Es liegt in der Natur der Sache, dass eine Autobiografie auf 340 Seiten keine 60-jährige Schauspielkarriere in allen Details abdecken kann. Etwas schade ist dennoch, dass Selleck einige Filme in seinem Buch nur nebenbei oder überhaupt nicht erwähnt. Mit dem Ende von Magnum 1988 endet auch Sellecks Erzählung. Im längeren Epilog verbindet er die Vergangenheit mit der Gegenwart, philosophiert über das Leben und die Kunst, und geht kurz auf seine Serie Blue Bloods ein, auf die er stolz ist und deren Produktionsstart ähnlich holprig war wie der von Magnum.
Nichts hingegen erzählt Selleck über Runaway, immerhin ein Michael-Crichton-Film mit Gene Simmons als Bösewicht und heute ein Kultfilm, oder über die erfolgreiche Schwulenkomödie In & Out mit Kevin Kline. Nichts über den wirklich guten Australien-Western Quigley Down Under und nichts über die exzellente Fernsehkrimi-Reihe Jesse Stone, die Selleck zehn Jahre beschäftigte. Schade.

Aber es besteht die Hoffnung, dass You Never Know nicht das letzte Buch von Selleck gewesen ist. Selleck deutet an, dass er gerne ein zweites Buch schreiben würde, das sich insbesondere mit seiner Militärzeit befasst. Wer weiß, vielleicht ist dort auch Platz für Themen, die es nicht hier reingeschafft haben.
Selleck beschließt das Buch jedenfalls mit einem positiven Ausblick. You Never Know ist mitnichten der Abgesang eines alternden TV-Stars, nicht das finale Lebewohl. Selleck sieht sich noch nicht am Ende seiner Karriere und blickt zuversichtlich auf das, was noch kommen mag. „There are chores to be done“, sagt er. Arbeit steht an. Ich bin gespannt und freue mich auf Zukünftiges von Tom Selleck, sei es filmisch oder gedruckt in Buchform.
Tom Selleck, Ellis Henican
You Never Know
HarperCollins, 2024
ISBN: 978-0008685690
Deutsche Ausgabe:
Man kann nie wissen
Hannibal Verlag, 2024
ISBN: 978-3854457756

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