Zwei Reportagen aus den 70ern über das Hongkong-Kino

„Wir geben dem Publikum, was es wünscht. Aber wir geben nur Gutes.“

Raymond Chow
Gründer der Golden Harvest Studios

Anfang der 1970er Jahre galten Deutschland und England als die größten europäischen Absatzmärkte für Martial-Arts-Filme aus Hongkong. Es überrascht daher nicht, dass in beiden Ländern auch Fernsehreportagen zu dem Phänomen entstanden. Zwei Reportagen aus Deutschland und England stelle ich hier vor.

Whicker’s Orient, Episode 1: What makes Shaw Run Run (1972)

Alan Whicker war ein britischer Fernsehjournalist, der vor allem durch seine Reise-Dokumentationsserien innerhalb der Reihe Whicker’s World bekannt wurde, die von 1958 bis 1994 auf ITV und teils BBC ausgestrahlt wurde. In der ersten Episode von Whicker’s Orient erforscht er das Hongkonger Filmgeschäft und besucht die legendären Filmstudios der Shaw Brothers. Er hat dabei Gelegenheit mit Produzent und Studio-Gründer Run Run Shaw und einigen Schauspielern wie David Chiang, seinem Bruder Paul Chun und Betty Ting Pei, die kurze Zeit später vor allem als Geliebte von Bruce Lee Schlagzeilen machen sollte, zu sprechen. Die Interviewten geben sich dabei mitunter überraschend offen.

Mit einer gewissen freudigen Neugier ergründet Whicker die typischen Kischees: warum zeigen die Filme so viel Blut und Gewalt, aber keinen Sex? Warum fliegen die Kämpfer durch die Lüfte? Warum werden alle Schauspieler von anderen Sprechern synchronisiert? Kritisch hinterfragt Whicker das straffe System der festangestellten und nicht besonders gut bezahlten Schauspieler, die alle in einfachen Wohnheimen untergebracht werden und über die recht streng gewacht wird.

Die Mischung aus Interviews, Filmclips und Behind-the-Scenes-Material ist gelungen. Die Bilder, die man hier sieht, haben Seltenheitswert. Auch wenn Whicker sein Erstaunen über manche hongkongische Eigenart nicht verbergen kann und er einen leichten Hang ins Sensationslüsterne hat, bleibt er weitgehend neutral. Nur einmal berichtet er in leicht abfälligem Ton, dass Run Run Shaws Stars zwar optisch dem „orientalischen Geschmack“ entsprechen müssen, aber die Schauspielqualität unwichtig sei, da die Stars sowieso synchronisiert und in Actionszenen von Stuntmen gedoubelt würden. Ganz falsch liegt er damit natürlich nicht.

Am Ende gibt es noch einen 4-minütigen Clip aus Vengeance (Kuan – Der unerbittliche Rächer) und Whicker fragt suggestiv, als wolle er doch eine Lanze für die Martial-Arts-Filme brechen: „Glauben sie, dass sie bereit sind, für Run Runs Filme? Aber bedenken sie, dieser hier ist einer der harmloseren.“

Heisse Ware aus Hongkong (1973)

Der indischstämmige Georges Paruvanani, der in Mainz Volkswirtschaft studierte, war lange Zeit für das ZDF der Mann für Nischenthemen. Etwa 30 Dokumentationen drehte er für den Sender zwischen 1969 und 1981, darunter auch Filme über das Kino in Indien und im Iran.

Heisse Ware aus Kongkong ist sein Beitrag zum Martials-Arts-Kino, entstanden etwa ein Jahr nach Alan Whickers Doku. Heisse Ware aus Hongkong wurde am 28. Mai 1974 im ZDF ausgestrahlt.

Die Dokumentation fängt mit einem Überblick über Hongkong an, wie man ihn eher in einer Reisereportage erwarten würde, begibt sich dann allerdings gleich ins angeblich sündige Nachtleben mit Topless-Bars, wo die „Mädchen als willig und billig angepriesen werden“. Hongkong wäre schließlich schon lange als „Tummelplatz für Touristen, Playboys und Ganoven bekannt“, womit der Sprecher zum eigentlichen Thema überleitet: „Die heißen Action-Filme, die sogenannten Kung-Fu- und Karate-Filme!“

Ein Hang des Tendenziösen zieht sich leider durch die gesamte Reportage. Ähnlich wie Whicker auch, ist Paruvanani von der Gewalt in den Filmen fasziniert, die immer wieder zur Sprache kommt. Anders als in der Reportage von Whicker, wird den Filmen hier allerdings unverblümt künstlerische und inhaltliche Qualität abgesprochen. Willige Zeugen findet Paruvanani in Studenten, die er interviewt und die wenig Gutes an Kung-Fu-Filmen erkennen können, und im Filmemacher Lung Kong, der behauptet, dass Hongkong es sich nicht leisten könne, künstlerische Filme zu produzieren, denn das dortige Publikum sei nicht reif genug, solche Filme zu verstehen und zu akzeptieren. Er schwört zudem, dass er niemals einen Kung-Fu-Film machen würde. Der Schwur hielt nicht. 1979 dreht er mit der kruden Martial-Arts-Geister-Komödie The Fairy, The Ghost and Ah Chung doch einen.

Filmkritiker Mel Tobias, der ein paar Mal zu Wort kommt, gibt immerhin zu. dass die Kung-Fu-Filme zumindest optisch blendend gemacht sind. Die Doku gibt sich nicht völlig dem negativen Duktus hin. Gelobt werden beispielsweise die Kostüme, die akrobatische Eleganz und die choreografische Exaktheit der Kämpfe. An dieser Stelle muss gesagt werden, dass nicht ganz klar ist, inwieweit Paruvanani überhaupt für das Endprodukt verantwortlich zu machen ist. Ich vermute, der Ton der Doku geht vor allem auf den verantwortlichen Redakteur Dieter Krusche zurück. Krusche war nicht nur Film- und Kultur-Redakteur beim ZDF, sondern schrieb auch den guten alten Reclam-Filmführer (12 Auflagen), in dem solche Filme natürlich erst gar nicht vorkamen.

Während Whicker ausschließlich über die Shaw Brothers berichtet, besucht Paruvanani auch Golden Harvest, das große Konkurrenzstudio der Shaws. Golden-Harvest-Gründer Raymond Chow, ein ehemaliger Produktionsmanager von Shaw Brothers, war kein Fan von Shaws strengem Studiosystem und etablierte ein weitgehend offenes Studio, das mit freien Regisseuren und Schauspielern arbeitete, denen er auch bessere Gagen zahlte. Der Erfolg der Bruce-Lee-Filme half dabei, nicht nur Shaw Brothers zu übertrumpfen, sondern auch bald den Kinomarkt in Hongkong zu dominieren.

Spannenderweise war Paruvanani während der Drehs der internationalen Koproduktionen The Legend of the 7 golden Vampires und The Shrine of Ultimate Bliss vor Ort, und konnte so nicht nur Bilder von den Dreharbeiten dieser Filme einfangen, sondern auch Interviews mit dem Produktionsmanager der britischen Hammer-Studios Michael Carreras, Schauspieler Peter Cushing und Ex-James-Bond George Lazenby führen. Lazenby versucht in dem herrlich trashigen The Shrine of Ultimate Bliss, der in Deutschland unter dem Titel Stoner erschien, den Anschein zu erwecken, er könnte Kung-Fu.

Das muss man dieser Doku lassen, sie deckt in den knapp 45 Minuten ein weites Feld ab. Paruvanani spricht dann auch noch mit dem Vorsitzenden der Zensurbehörde, Nigel Watt. Hier wird deutlich, warum in Hongkong-Filmen häufig der Heldentod gestorben wird. Das hat nicht nur etwas mit chinesischer Kultur und Tradition zu tun, sondern fußt vor allem auf der Tatsache, dass die britische Kolonialmacht auch in den Filmen die eigenen konservativen Moralvorstellungen durchsetzen musste. Auch der Held, der Rächer, der selbst tötet und sich an wenig Regeln hält, darf letzlich nicht ungestraft davonkommen.

Als Fazit bleibt, dass auch Heisse Ware aus Hongkong trotz der tendenziösen Berichterstattung, ein sehenswertes Zeitdokument ist, das mit seltenen Aufnahmen, erhellenden Einblicken und interessanten Fakten über die Hongkonger Filmindustrie aufwarten kann.

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