
Boston, 1978. In einer abbruchreifen Lagerhalle trifft sich eine Gruppe von IRA-Mitgliedern, angeführt von Chris und Frank, mit Waffenhändler Vernon und seinen Partnern. Ein Koffer voller Geld und eine Kiste M16-Gewehre sollen ihre Besitzer wechseln. Die Situation ist von Anfang an angespannt. Vernon macht mächtig einen auf dicke Hose, obwohl er statt der versprochenen M16 nur AR70 im Gepäck hat. Vernon versteht die Aufregung nicht. Gewehre sind schließlich Gewehre. Nach einigem hin und her und Dominanzgehabe auf beiden Seiten, wird man sich doch noch einig und will den Deal über die Bühne bringen. Doch dann entdeckt Vernons Gehilfe Harry, dass der sich bisher verdächtig im Hintergrund gehaltene Stevo, der Kerl ist, der am Abend zuvor Harrys Cousine in einer Bar bedrängt hat.
Die Situation droht zu eskalieren. Unterhändlerin Justine, die das Geschäft eingefädelt hat, steht zwischen beiden Parteien und versucht zu vermitteln. Stevo gibt vor, sich bei Harry entschuldigen zu wollen, doch stattdessen verhöhnt er Harry und prahlt damit, was er alles mit seiner Cousine angestellt hat. Harry verliert die Nerven, geht zum Auto, holt einen Revolver aus dem Handschuhfach und schießt Stevo nieder. Daraufhin ziehen alle ihre Waffen und eröffnen blind das Feuer, während sie gleichzeitig versuchen, hinter Schutt und Geröll Deckung zu finden. Bald stehen sich die beiden Gruppen in einer Pattsituation gegenüber. Der Geldkoffer und die Gewehre unerreichbar mittendrin. Es wird geschrien, es wird geschossen. Den verbalen Nettigkeiten wird mit Pistolenschüssen Gewicht verliehen. Während unten in der Halle die Scharmützel weitertoben, schleichen sich oben unbemerkt über das Dach zwei Scharfschützen ins Gebäude ein und nehmen beide Gruppen ins Kreuzfeuer. Gibt es etwa einen Verräter oder will ein unbekannter Dritter etwas vom Kuchen abhaben?

Free Fire ist eine Action-Komödie von Ben Wheatley, der vorher schon eine Reihe von sehenswerten kleinen und größeren Genre-Filmen mit schrägen Typen und originellen Bildern gemacht hat. Vor allem sind die Filme zu nennen, die er zusammen mit seiner Frau Amy Jump auch geschrieben hat: Kill List, Sightseers, A Field in England, High-Rise und eben Free Fire.
Free Fire erinnert mich an die späten 90er Jahre, als eine Welle von Tarantino inspirierten Filmen durch die Videotheken schwappte mit einzelnen Ausläufern bis in die Kinos hinein. Zudem schwingt bei Free Fire noch ein gewisser Guy-Ritchie-Vibe mit inklusive einem Sammelsurium an Akzenten, die man hier zu hören bekommt.
Free Fire versucht von Anfang an sich als Kultfilm zu generieren und die Vorbilder sind offensichtlich. Das wirkt zunächst nicht mehr besonders originell. Aber die Typen, die hier in den ersten Minuten vorgestellt werden, machen Spaß. Und spätestens wenn Waffenhändler Vernon (Sharlto Copley) die Bühne betritt, weiß man, das wird gut. Obwohl es hier mit Cillian Murphy, Armie Hammer, Sam Riley, Brie Larson, Jack Reynor und Michael Smiley einen fantastischen Ensemble-Cast gibt, ist Free Fire schon so etwas wie die Sharlto-Copley-Show. Sein Vernon hinterlässt den meisten Eindruck und löst im Zuschauer die ambivalentesten Gefühle aus. Eigentlich ist er ein übler Ganove, aber irgendwie bleibt er doch sympathisch, nicht zuletzt, weil er völlig erratisch agiert und an hoffungsloser Selbstüberschätzung leidet. Eine Witzfigur im besten Sinne.

Als Zuschauer wähnt man sich also in sicherer Erwartung eines Gangster-Spaßes mit Geballer und wortwitzigem Schlagabtausch. Unterhaltsam, aber altbekannt. Nachdem die Situation zwischen den beiden Parteien eskaliert, wird man allerdings überrascht. Es braucht eine Weile bis man merkt, dass hier irgendwie alle Protagonisten nur noch auf dem Boden rumkriechen. Das ergibt handlungstechnisch durchaus Sinn, denn das weitläufige Lagerhaus bietet außer Schuttbergen, Betonklötzen, ein paar Säulen und Kisten kaum Deckungsmöglichkeiten. Wer liegt, ist sicher. Im Laufe des Films wird auch jeder mal angeschossen und aus medizinischen Gründen kriecht es sich dann häufig leichter, als es sich geht, springt oder sprintet.
Nun ist das Kriechen an sich keine Besonderheit. In vielen Filmen wird mal auf dem Boden gekrochen. In Actionfilmen sowieso. Aber kaum ein Film erhebt das Kriechen im Dreck zu einem essentiellen Handungsbestandteil, wie es Free Fire macht. Der Film definiert quasi ein neues Nischen-Genre: Kriech-Action. Was Free Fire nicht bietet, sind ausgefeilte Stunts und Choreografien nach John-Wick-Manier. Es ist mehr ein kontrolliertes Chaos, ein wütender Gangster-Shootout, nah an der Wirklichkeit, wenn auch mit grotesken Auswüchsen.








In der letzten halben Stunde verlagert sich ein Teil der Handlung in die obere Etage der Lagerhalle. Ein Wettrennen um das einzige Telefon entbrennt. Frank (Michael Smiley) will über das Telefon Verstärkung rufen. Vernon riecht den Braten und will seinerseits das Telefon erreichen. Die ausgedehnte Kriechsequenz durch Dreck und Geröll, die Treppe hoch, durch völlig zerfallene Gänge und Räume ist gegengeschnitten mit der Handlung unten, wo gerade Justine (Brie Larson) in Richtung Ausgang kriecht, verfolgt von Gordon (Noah Taylor). Es ist bemerkenswert, wie temporeich und spannend dieses Doppel-Gekrieche inszeniert und geschnitten ist.
Es ist dann passend, dass der Film, der konventionell angefangen hat, auch konventionell endet. Im Stehen.








Free Fire ist ein Actionthriller mit rohem realistischen Anstrich, blutig und brutal, der aber nicht an eingestreuter Situationskomik und Wortwitz spart. Das straffe Drehbuch, die gut aufgelegte Besetzung, die dynamische Bildsprache und der exzellente Schnitt sorgen dafür, dass das Gekrieche nicht zum Stillstand kommt. Auch ergibt die Lagerhalle, die nahezu der einzige Handlungsort des Films ist, eine abwechslungsreichere Location, als man vermuten könnte. Schrittweise – oder: kriechweise – werden neue Teilbereiche der Lagerhalle in die Handlung eingebaut und Immer wieder neue Einstellungen sorgen dafür, dass hier keine Szene wie die andere aussieht.
Ob der Film noch mal ein großer Kultfilm werden wird, bleibt fraglich. Aber unabhängig davon, ist Free Fire auch jetzt schon ein kleiner, feiner Genre-Beitrag mit originellem Gimmick. Mehr braucht es manchmal nicht.

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