In seiner mittlerweile über 45-jährigen Historie hatte es der legendäre Comic-Held Judge Dredd auch einige Male mit dem Weihnachtsmann zu tun. Selten wars der echte. Meist waren es verkleidete Verbrecher, manchmal Opfer.
In der allerersten Weihnachts-Geschichte beispielsweise, Red Christmas (2000 AD Prog 44, 1977), hat es der Schurke Geek Gorgon in der Gestalt des Weihnachtsmanns auf Dredd abgesehen und entführt Dredds Service-Roboter Walter.
In The Fright before Christmas (Judge Dredd Megazine 403, 2018) trifft Dredd auf einen alten Bekannten, der wegen guter Führung entlassen wurde und nun als Weihnachtsmann Armen-Parties für die Reichen veranstaltet. Auch die reichen Leute wollen mal wissen, wie es ist, arm zu sein.
Und in The Santa Affair (2000 AD Winter Special, 1989) verkleiden sich Dredd und eine Einheit weiterer Judges gar selbst als Weihnachtsmänner, um eine kriminelle Weihnachtsmannbande zur Strecke zu bringen. Diese unheilige Nacht überleben gleich mehrere Weihnachtsmänner auf beiden Seiten nicht.
Zu den schrägsten Weihnachtsgeschichten von Judge Dredd gehört aber A Real Christmas Story, die zuerst im Magazin 2000 AD Prog 502 am 27.12.1986 erschien. Ein Nachdruck ist im Sammelband „Judge Dredd – The Complete Case Files 10“ zu finden.
Es ist eine dieser Meta-Geschichten, in denen der Erzähler während des Erzählens die Geschichte kreiert und verändert. Ist das der Geist der Weihnacht oder doch nur Autor John Wagner? Es beginnt damit, dass der Erzähler erst mal einen Schneesturm in Mega-City One entstehen lässt, was Dredd verwundert. Er kontaktiert Weather Control, die eine Fehlfunktion bestätigen. Normalerweise unterliegt das gesamte Wetter von Mega-City One ja der Wetterkontrollstation.

Der Erzähler stellt uns den Bösewicht der Geschichte vor: Bill Hudnut. Ein freundlicher Typ, der nichts lieber tut, als sich als Santa Claus zu verkleiden und Süßigkeiten an die Kinder zu verteilen. Moment, das ist doch gar nicht böse und außerdem viel zu langweilig.

Deswegen greift der Erzähler ein, tauscht Bills Hand gegen eine riesige Stahlklaue aus, setzt ihm – ja, warum eigentlich nicht – eine Glasplatte in die Stirn, damit man das Gehirn umherschwappen sieht, zaubert ihm eine großen Wumme in die Hand…


… und bläut ihm im wahrsten Sinne des Wortes einen robusten Hass auf Weihnachten ein.

Nachdem Bill in all seinem neu erworbenen Hass auf Weihnachten nun ein armes Kind aufschlitzt und die Weihnachts-Band samt Chor umnietet, alarmiert ein Passant die Judges und Dredd macht sich auf den Weg.


Unterdessen macht uns der Erzähler mit Bill Hudnuts Freundin bekannt, denn eine gute Weihnachtsgeschichte braucht natürlich auch etwas fürs Herz. Juliet Bouvier ist eine große, schlanke, blonde Schönheit… Nein, so geht das nicht. Zu stereotyp. Ping, ping, ping und schon wird aus Juliet Bouvier Juliet Boo: klein, pickelig, die Haare splissig, aber mit einem guten Herzen und voller Liebe für Bill.

Bill und Juliet erkennen sich selbst nicht wieder und wundern sich, was wohl passiert sein mag. Die Heiratspläne bleiben bestehen, doch die unbedarfte Erwähnung von Weihnachten lässt Bill ausrasten…

… und er eröffnet das Feuer auf die arme Juliet.

Endlich trifft Dredd ein, vielleicht keine Sekunde zu spät. Doch erst mal gibt es Knüppel aus dem Sack für unbeteiligte Zuschauer. Platzmachen ist angesagt, die Strafverfolgung duldet schließlich keinen Aufschub.

Unterdessen setzt Bill zu einer Rede über die Sinnhaftigkeit von Weihnachten an und erzählt, dass ihn die ganzen fröhlichen Menschen ringsum ankotzen. Und er stellt die rhetorische Frage, ob denn überhaupt jemand wisse, wie es sei, ein verrückter Psycho zu sein. Zumindest ein verrückter Psycho aus dem John-Carlisle-Block meldet sich.

An dieser Stelle ist eine kleine Exkursion in die Stadtkunde angebracht. Mega-City One ist in unzählige riesige Cityblocks eingeteilt, die mehrere hundert Etagen hoch sein können und im Durchschnitt etwa 60.000 Einwohner beheimaten. Diese Blocks funktionieren wie eigene kleine Städte. Oftmals verlassen die Einwohner ihren Block Zeit ihres Lebens nicht, weil es schlicht keinen Grund gibt. Üblicherweise sind die Blocks nach historischen Persönlichkeiten benannt. Für den John-Carlisle-Block stand der britische Politiker John Russell Carlisle Pate, der wegen allerlei fragwürdiger Aktivitäten und Ansichten speziell in den 1970en und 1980ern in der Kritik stand. Unter anderem war er ein Fürsprecher des südafrikanischen Apartheid-Regimes. Als solcher rechter Hardliner passt sein Name natürlich vorzüglich in die Welt von Judge Dredd. Und dass auch noch jemand mit einem „John Carlisle Raving Psychos“ Fan-Shirt auftaucht, ist der Knaller.
Fadam! Badam! Nun überschlagen sich die Ereignisse. Bill erschießt den John-Carlisle-Fanboy, Dredd muss reagieren und feuert auf Bill.

Im Angesicht des Todes besinnen sich Bill und Juliet ihrer Liebe. Doch Juliet muss wieder dieses verdammte Wörtchen „Weihnachten“ erwähnen und die neu gefundene Innigkeit ereilt ein jähes Ende. Bill erschießt Juliet, die vom Dach fällt.

Und Dredd erschießt Bill, der Juliet hinterherfällt.

Doch keine Sorge. Es ist schließlich eine Weihnachtsgeschichte und der Erzähler nimmt sich die Freiheit, aus dieser ganzen Tragik doch noch ein Happy End zu stricken.

Im Leichwagen erwachen Bill und Juliet plötzlich wieder zum Leben und auf wundersame Weiße vaporisieren sie unbemerkt an der Wache vorbei…

… um sich draußen wieder in ihr altes Selbst zu materialisieren. So geht es auch gleich vor den Traualtar und selbst Dredd, der harte Hund, lässt mal Fünfe gerade sein. Keine Geständnisse mehr heute Nacht. Es ist schließlich Weihnachten.

Und so endet ein wundervolles Weihnachtsmärchen aus dem Judge-Dredd-Universum. Satirisch, hart, ein bischen irre, aber letztlich doch versöhnlich. Ho, ho, ho!

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