Sammy Davis Jr.: Satan ohne Sex

Unter dem Titel Satan ohne Sex schrieb Anneliese Friedmann alias Sibylle 1968 in ihrer Kolumne im Stern Nr. 41 über ein Konzert von Sammy Davis Jr., das im damals hippen Münchner Club Blow Up stattfand. Sibylle strawanzt hier keck zwischen polterndem Klatsch und zeitgenössischem Konzertbericht umher. Schmissig geschrieben in ihrer spitzzüngigen, nicht ganz unüberheblichen Art, ist dass ein gutes Beispiel dafür, warum ihre Kolumnen sehr gerne gelesen wurden. So manche aus heutiger Sicht politische Unkorrektheit darf man natürlich geflissentlich überlesen.

100 Mark ein Sitzplatz auf der Empore inklusive Drinks, 45 pro Stehplatz unten, wo sonst Schwabings böse Kinder tanzen, während die Seniorenmannschaft der Snobiety von oben dem Treiben zuschaut […]

Um neun Uhr kochte das Haus, unablässig fingerten Scheinwerfer rot und blaues Psychedelic-Licht über die gruftschwarzen Wände, schlaffer Beat vom Band zum schlaffen Whisky gratis von der Bar, auf der Bühne aufgebaut die Stühle der Sammy-Davis-Band. Drumherum die schönsten Mädchen, Mini-Bardots die Menge, lange Stiefel zu Spuren von Röcken, schwarze Kleider vorne blanko, schwarze Blusen drunter ohne.

Einen kleinen Einblick ins Blow Up dieser Zeit bietet der Nachrichten-Clip von British Pathé. Ja, das ist Peter Kraus dort im Bild. Und der unvermeidliche Gunter Sachs taucht natürlich auch noch auf. Die Anfänge der Schickeria.

Andere Länder, andere Sitten? Der folgende Seitenhieb auf die Brüder Anusch und Temur Samy wirkt, als zweifele Sibylle die Rechtschaffenheit der Geschäftsmänner an, die nicht nur Gründer des Blow Up waren, sondern auch die ganze Schwabinger Vergnügungsszene umkrempelten.

Ernst Wilhelm Sachs, Heimatausgabe von Playbruder Gunter, mußte mit elf Gästen in der Ecke stehen, weil sein reservierter Tisch dreimal verkauft und vergeben war. Wie ihm erging es allen Prominenten, die auf die Macht ihrer Namen und die Redlichkeit der Unternehmer vertraut hatten. Doch diese Brüder aus Persien sind auch im Geschäftsgebaren durchaus nicht von hier. Ein bekannter Münchner Gastronom schrie mehrere Male laut, er werde ihnen das Handwerk schon legen, denn bis aus Brüssel hatte er Gäste importiert, und wo stünden die jetzt für hundert Mark: auf dem Klo.

Beim BR findet sich eine höhrenswerte Radio-Dokumentation (siehe auch hier) über die Samy-Brüder, deren Erfolg nur von kurzer Dauer war. Der Tod von Anusch Samy, der 1970 bei einem Flugzeugabsturz starb, besiegelte auch das Ende des Samy-Imperiums aus Diskos, Bars, Restaurants und Boutiquen. Dazu ein Artikel aus dem Spiegel von 1970.

Temur und Anusch Samy im Shopping Center Citta 2000

Bevor es um Musik geht, geht es bei Sibylle erst einmal viel um Äußerlichkeiten:

Sammy Davis Jr., Sänger und Tänzer, Neger und Jude, plattnasig, einäugig, der kleinste, der häßlichste, der berühmteste Unterhalter der Welt zur Zeit. Er ist noch kleiner, als ich dachte, und noch häßlicher. Wie eine Spinne springt er aus dem Dunkel, Kreuzspinne auf kurzen Beinen, die selbst für diesen schmächtigen Körper zu dünn sind, knickbeinig stelzt er auf hohen Stöckeln im Schrittmaß eines Riesen vom Piano zu den Drums, stößt den schweren Schädel mit dem winzigen, zusammengepreßten, ausgepreßten Gesicht vor, nimmt das Mikrofon, sagt zur Begrüßung… „hoffe, Sie werden vom Stehen nicht zu früh müde, denn ich habe vor, eine ganze Weile zu singen.“ Er sagt es schlaksig, linkisch, fast scheu.

Sich über die vermeintliche Hässlichkeit von Sammy Davis Jr. auszulassen, ist nicht unbedingt böse, denn Sammy koketierte selbst gern damit, wie Sibylle dann auch ausführt:

Sammy hebt die Hand, wird plötzlich straff und groß und reißt den Mund auf, einen Löwenrachen, rosa Zunge hinterm Zaun der Zähne, die zu weiß, zu zahlreich scheinen für das Dreieck schwarzer Haut über scharfen Knochen, sein Gesicht. Er hat es oft gesagt, geschrieben: „Ja, ich weiß, ich bin häßlich, einer der häßlichsten Männer: Aber man muß verstehen, mit der Häßlichkeit umzugehen wie mit der Schönheit. Vielleicht, wenn ich mir die Nase hätte herrichten lassen (sie wurde ihm eingeschlagen in den Schattenvierteln von New York), wäre ich fast passabel geworden. Aber wozu dient es, passabel zu sein, mittelmäßig, weder häßlich noch schön? Totale Häßlichkeit wie die meine ist schon wieder attraktiv.“ Seine Frau, die schöne blonde schwedische Schauspielerin May Britt, sagte von ihm zur Zeit des Glücks: „Mein Mann ist schön. Sein Herz ist schön, sein Mut ist schön, seine Intelligenz ist schön, und für mich ist sogar sein Lächeln schön, sein Blick, sein Gesicht.“ Jetzt leben die zwei getrennt.

An dieser Stelle ist anzumerken, dass sich die „schöne blonde Schwedin“ und der „(schwarze) hässliche Mann“ nicht etwa trennten, weil dies, wie man hier herauslesen könnte, dem Gegensatz von schön und hässlich oder weiß und schwarz geschuldet sein könnte, sondern May Britt die Scheidung einreichte, als an die Öffentlichkeit gelangte, dass Sammy ein Verhältnis mit der Sängerin Lola Falana hatte, die er schon 1965 kennenlernte.

Sammy Davis Jr. und Lola Falana

Nachdem sich Sibylle versichert, keine Notiz davon zu nehmen, dass „Sammy Davis Jr. ein Neger ist“, wohl aber von seiner satanischen Präsenz, widmet sie sich auch dem Musikalischen:

Ich prüfe mich: Nein, nicht davon nehme ich Notiz. Wohl aber von dem Satanischen seiner Person auf dem Podium. Das schwarze Vlies des Kraushaars über der Stirn, die schwarzen Male der Brauen, des winzigen Spitzbartes, des schmalen Bartes über den Lippen geben ihm etwas von Geck und Mephisto zugleich: Don Juan in der Hölle. Schon ist er nicht mehr häßlich, schon reißt er sich die Jacke herunter, singt im gerüschten Satinhemd, zündet sich eine Zigarette an, eine nach der anderen, während er singt, trinkt ein Bier. Jetzt stellt er sein Orchester vor, den Schlagzeuger, dann einen Drummer mit Computerhänden. Nur von seinen Trommelrhythmen begleitet singt Sammy Songs aus West Side Story.

Schlägt selbst den Baß, die Drums, das Schlagzeug, alles gleich virtuos und unterkühlt perfekt, gleich lässig und wie nebenbei gesprochen. Beifall braust und brandet, Sammy schneidet Grimassen, parodiert Frank Sinatra und Louis Armstrong, singt Soul und Beat, singt Nummern, mit denen er seinen Erfolg machte, und Neues aus „Golden Boy“, dem Musical, das ihn am Broadway vor ein paar Jahren endgültig bestätigte als Entertainer Nummer eins, „Mr. Wonderful“.

Die satanische Analogie, die Sibylle hier bemüht, kommt nicht von ungefähr. Gerüchte machten die Runde, dass Sammy mit dem Teufel im Bunde war. In seinen 1980 und 1989 erschienenen Autobiografien Hollywood in a Suitcase und Why me? macht Sammy keinen Hehl aus seinen Leidenschaften. Von seinem Interesse an Pornografie bis zum Satanismus, Sammy legt alles auf den Tisch. Kurzzeitig verkehrte er in den Kreisen von Anton LaVey und seiner Church of Satan. Dort plante man gar, ihn zum Ehrenpriester zu ernennen, wozu es aus verschiedenen Gründen dann aber doch nicht kam. Diese Stories wurden seitdem immer wieder gerne sensationell ausgeschlachtet. Dabei wird allerdings häufig gerne unter den Tisch fallen gelassen, dass Sammy das alles vor allem als großen Spaß sah und sich über die Tuscheleien köstlich amüsierte. In Why me? schreibt er: „Occasionally, someone would understand and ask, ‚Are you into Satanism?‘. I played it misterioso. ‚Well, I’ve read about it…‘. It was a turn-on. The chicks loved it!“.

Auch äußerst erhellend in Why me?, die Schilderung seiner ersten satanischen Messe, die eigentlich nur eine Party war und als Alibi für eine Orgie herhalten musste:

„The party was in a large, old house up in the hills and they were all wearing hoods or masks. They had a naked girl stretched out and chained to a red-velvet-covered altar. I played it cool. ‚Hey, what is this?‘
‚We are Satanists.‘
‚Oh, this is a coven….‘
‚Right. The chick’s going to be sacrificed.‘
I’d read enough about it to know that they weren’t Satanists, they were bullshit artists and they’d found an exotic way they could ball each other and have an orgy. And get stoned. It was all fun and games and dungeons and dragons and debauchery and as long as the chick was happy and wasn’t really going to get anything sharper than a dildo stuck into her, I wasn’t going to walk away from it.“

Michael Aquino, Sammy Davis Jr., Anton LaVey
Michael Aquino, Sammy Davis Jr. und Anton LaVey

1968 war das alles freilich noch nicht bekannt. Bei Sibylle folgt nun die Quintessenz des Texts, also quasi der mephistophelische Kern des hässlichen schwarzen Pudels. Die Analyse, warum Sammy Davis Jr. der ganz große Erfolg in Deutschland verwehrt bleiben sollte. Sammy Davis Jr. war zwar teuflisch gut, aber einfach nicht so sexy wie Udo Jürgens! Und ich befürchte, aus der Sicht des deutschen Publikums gesehen, war da was dran.

Ich würde ihn anders nennen: Mr. Energy. Denn alles, was er tut, treibt dieser ungeheure Wille, top zu sein, Spitze, der Erste, der Beste. Und doch fehlt der letzte Funke. Doch fehlt das unnennbare Etwas, was Udo-Jürgens-Konzerte Wochen im voraus ausverkauft, während Sammy in Nürnberg, beispielsweise, vor halbleerem Hause sang. Es fehlt das falsche Feuer, das Tom Jones’ „Delilah“ mühelos Millionenauflage macht, während musikalisch weit höher zu wertende Davis-Platten bei uns noch nicht einmal zehntausend Käufer fanden. Es fehlt, was Frauen jeden Alters aufseufzen läßt, und Männer im Unterbewußtsein meinen, sie schaffen es auch: Sammy singt ohne Sex-Appeal.

Hätte diese Stimme keinen Hauch von Eros? Die Stimme wie Samt und Sandpapier, die grölende, kreischende, beschwörende, weich verführende, die bebende, zitternde, flüsternde Stimme. Sie allein ist es nicht. Es ist die Intelligenz und Schärfe, die Ironie des Vortrags, die absolute Musikalität. Es sind die Bewegungen, präzise und schlangengeschmeidig und immer parodierend. Sammy steppt und trippelt, stampft und springt, er schleicht und swingt und rockt, krümmt den Körper wie in Krämpfen, um die Stimme herauszudrücken, deren Umfang ihn zu sprengen scheint und die doch mühelos gehorcht. Sammy singt mit dem Kopf mehr als mit dem Zwerchfell und der Kehle. Sammy singt wie die Summe aller Schausänger, aber ohne Herz.

Technisch, herzlos, sexlos. Auweia, armer Sammy. Nachdem es düster weitergeht, schließt Sibylle immerhin nicht völlig hoffungslos:

„Ich glaube daran, daß die Welt sich bessert. Die Vorurteile nehmen ab; was man vorher nicht einmal in Vorstellungen akzeptierte, nimmt man jetzt als Wirklichkeit“, sagt dieser Sammy Davis einmal, als er noch mit seiner weißen Frau zusammen in der Park Avenue wohnte. Inzwischen wurde Martin Luther King ermordet, Sammys Freund, mit dem er für die Gleichberechtigung der Neger kämpfte, und sein Freund Bobby Kennedy wurde ermordet, für den er bei Wahlkampagnen sang, weil die Neger auf ihn bauten. Inzwischen ist Sammy wieder allein, ein kleiner Schwarzer mit großem Herzen, der sich hinaufgerauft hat. Jetzt ist er oben im Licht, und die Weißen nehmen ihn an: als bewunderten, hochbezahlten Hofnarren einer zwar besseren, aber immer noch nicht guten Welt.

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